Falsch adressiert – Ein Gastkommentar von Malte Müller-Michaelis

Malte Müller-Michaelis mit Boxer Senad Gashi

Malte Müller-Michaelis mit Boxer Senad Gashi

Das deutsche Profiboxen hat Probleme. Das ist offensichtlich. Seit erst das ZDF und später auch die ARD regelmäßige Live-Übertragungen eingestellt haben, geht es mit dem Sport stetig bergab. Die ProSiebenSat.1 Media AG (der Einfachheit halber abgekürzt mit P7S1) hat versucht, die entstandene Lücke zu füllen – zunächst mit einer Vielzahl von Events bei Flaggschiff-Sender Sat.1, dann vermehrt bei der extra dafür ins Leben gerufenen Bezahl-Plattform ranfighting.
Da die TV-Einschaltquoten zuletzt stark rückläufig waren, wird das Produkt Profiboxen immer mehr aus dem Hauptprogramm auf die Pay-Online-Schiene geschoben. Das macht sowohl die Zuschauer als auch selbsternannte Experten sauer. Die Unzufriedenheit wird auf immer drastischere Arten zum Ausdruck gebracht. Zuletzt leistete sich eine Box-Website die Geschmacklosigkeit, Sat.1- und ranfighting-Kommentator Tobias Drews in einer Fotomontage als IS-Kämpfer darzustellen, der zwei Boxer als Geiseln hält. Grundlage war ein Bild aus einem der grauenhaften Enthauptungsvideos, die in den letzten Jahren die Runde machten.
Tobias Drews war schockiert, entsetzt und angeekelt und brachte dies in den sozialen Netzwerken deutlich zum Ausdruck. Natürlich hat er Recht. Man darf Kritik äußern und eine eigene Meinung vertreten. Aber mit der Montage wurde eine Grenze überschritten.
Hinzu kommt: Die Kritik geht inhaltlich am Ziel vorbei und ist zudem falsch adressiert. Natürlich darf man annehmen, dass Drews durch seine Erfahrung und seine Kompetenz in die Entscheidungswege bei P7S1 und ihrer Töchterfirmen eingebunden ist. Und da er als Kommentator in der Öffentlichkeit steht, wurde er als Symbol für diejenigen gewählt, die das Profiboxen aus dem frei empfangbaren Fernsehen in Bezahlkanäle verbannen.
Das ist schlicht Unsinn.
Natürlich haben die P7S1-Verantwortlichen seit ihrem Einstieg ins Profiboxen handwerkliche Fehler gemacht. Sehr viele sogar. Und natürlich waren diese Fehler mit dafür verantwortlich, dass das Produkt Profiboxen in Sat.1 nicht so funktioniert, wie man es sich allgemein erhofft hatte. Aber die Misere des Sports beginnt zu einem viel früheren Zeitpunkt. ProSiebenSat.1 hat das Boxen in Deutschland nicht in die Krise gestürzt, das Unternehmen gehört vielmehr mit zu den leidtragenden einer Entwicklung, die viel früher einsetzt.
Tatsächlich hoffte die Sendergruppe beim Wiedereinstieg in den Boxsport 2010, von einem in der vorigen Jahren stetigen Box-Boom zu profitieren. ProSiebenSat.1 ist ein Wirtschaftsunternehmen und wollte Geld verdienen. Da andere Sportrechte zu teuer und damit nicht zu erreichen waren, versuchte man sich, im Kampfsport zu etablieren. Da sich die Sehgewohnheiten der Menschen in den letzten zehn Jahren stark verändert haben und weiterhin stark verändern – das Internet und vor allem mobile Bildübertragung nimmt vor allem bei der werberelevanten Zielgruppe einen immer größeren Stellenwert ein – fuhr die Gruppe eine mehrgleisige Strategie. Top-Veranstaltungen – zu Beginn mit Felix Sturm, später mit den Sauerland-Stars Arthur Abraham, Jürgen Brähmer und Co. – liefen in Sat.1, nebenbei wurde ranfighting aufgebaut und über Sat.1 stark beworben.
Dabei darf man nicht verkennen, dass das Unternehmen – bzw. die zuständige Tochter – viel Geld investiert hat, um die Online-Plattform zu entwickeln und mit Content zu füllen. Das Investment wurde nicht getätigt, um den Box-Fans im Lande einen Gefallen zu tun, sondern um mittel- und langfristig mit dem Produkt Geld zu verdienen. Wie man bei P7S1 mittlerweile erkannt haben dürfte, gestaltet sich das schwierig. Zum einen ist ranfighting nicht besonders gut gemacht, zum anderen schafft es die Gruppe nicht, potenziellen Kunden zu erklären, warum ein Abo wichtig und notwendig ist. Folgerichtig bleiben die Abonnentenzahlen hinter den Erwartungen zurück. Um das im Grunde gescheiterte Produkt doch irgendwie wirtschaftlich zu retten, werden Inhalte zusätzlich zur monatlichen Grundgebühr für einen Pay-Per-View-Beitrag verkauft. Die monatlichen Beiträge reichen also nicht aus, um die Plattform am Leben zu erhalten. Bei den Abonnenten, die glaubten, durch ihre regelmäßige Zahlung Anspruch auf den gebotenen Content zu haben, sorgt das für den eingangs beschriebenen Unmut. Zurecht.
Andere vergleichbare Anbieter machen es grundlegend anders – und damit offenbar erfolgreicher. Die Online-Plattform DAZN bietet eine Vielzahl an sportlichen Top-Inhalten (unter anderem die britische Premier League, die spanische Primera Division, die großen US-Sport-Ligen sowie aktuell sogar die Eishockey-Heim-WM mit einer starken deutschen Nationalmannschaft) für eine monatliche Grundgebühr. Es werden keine Zusatzkosten fällig. Deswegen sind die allermeisten DAZN-Abonnenten zufriedene DAZN-Abonnenten. Sie bekommen das, wofür sie bezahlen. ranfighting-Abonnenten müssen dagegen regelmäßig bezahlen, sollen dann aber noch Zusatzgebühren entrichten, um speziellen Content zu sehen.
Das ist ein Problem und ein Fehler, den man den Verantwortlichen bei P7S1 ankreiden darf. Dass sie die betreffenden Veranstaltungen nicht im Free-TV zeigen, ist dagegen eine verfehlter Kritikpunkt. Denn eine denkbare Alternative zum Pay-Per-View-Stream wäre ja schlicht gar keine Übertragung.
Es wäre auch falsch, P7S1 aufzufordern, in eine nachhaltigere Entwicklung des Profiboxens zu investieren. Großveranstaltungen mit hochwertigen Kämpfen kosten Geld. Dieses Geld müssen normalerweise Promoter ausgeben, die es sich dann im Idealfall von Sponsoren, Zuschauern (in Form von Eintrittsgeldern) und TV-Partnern (in Form von Lizenzgebühren) zurückholen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Die Sender ihrerseits zahlen dann gerne große Lizenzsummen, wenn die Einschaltquoten stimmen und sie die Kosten aus Werbeeinnahmen refinanzieren können.
Sat.1 hatte zu Beginn mit Felix Sturm zwar solide Quoten, kam aber nie an die beeindruckenden Zahlen von RTL an. Der Kölner Sender hat dem Boxsport viel zu verdanken. Die Quotenkönige Maske, Schulz und später die Klitschko-Brüder bescherten RTL in schöner Regelmäßigkeit Marktanteile von über 50 Prozent. Das hören Werbekunden natürlich gerne. Boxen ist seit den 90er Jahren eins der Premium-Produkte des Senders, mit dem RTL die Marktführerschaft im Privatfernsehen begründet hat und stetig verteidigt.
Bei Sat.1 hat man das gemerkt und gedacht, man könnte den Erfolg nachahmen. Dass das nicht geklappt hat, liegt an schlechter (Cross-)Promotion und einem insgesamt nicht so runden Produkt, wie es die Kollegen aus Köln präsentieren.
Sat.1 in die Pflicht zu nehmen, ist insofern falsch, als der Sender dem Boxsport keine großen Einnahmen und keinen entscheidenden Imagegewinn zu verdanken hat. Viel eher müsste RTL ein Interesse daran haben, sich auf die Nach-Klitschko-Ära vorzubereiten und gezielt in den Box-Nachwuchs zu investieren. In der Vergangenheit haben das andere für RTL gemacht. Sauerland brachte Maske und Schulz, die Klitschkos wurden beim ZDF und der ARD zu Stars, bevor RTL sie übernahm. Das Experiment Marco Huck scheint gescheitert. Wenn RTL auch weiterhin Quoten-Erfolge mit Boxen feiern will, müssen die Kölner jetzt investieren. Da sie bislang vom Sport profitiert haben, wären sie auch der richtigere Adressat für diese Kritik als P7S1.
Um aber eins ganz klar zu sagen: Das heißt nicht, dass irgendwelche selbsternannten Journalisten und Rächer der Boxwelt Fotomontagen von Florian König und Kai Ebel als Massenmörder und Menschenschlechter anfertigen sollten. Das ist nämlich immer falsch und schlecht – egal, ob die grundlegende Kritik berechtigt wäre oder nicht.

Ein Gastkommentar von Malte Müller-Michaelis

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