Dimitry Pirog – Wird es ein Comeback geben?

Boxfans werden sich gut an den russischen WBO-Weltmeister Dimitry Pirog erinnern, der aus gesundheitichen Gründen seine Karriere abbrechen musste. Pirog war es, der 2010 dem jetzigen WBA-Weltmeister Daniel Jacobs seiner erste und einzige Niederlage beibrachte – ein TKO 5 in Las Vegas. Danach kämpfte Pirog noch 3x und es sollte zu einem großen Fight gegen Gennady Golovkin kommen. Daraus wurde dann nix mehr, weil Pirog auf Anraten seiner Ärzte die Boxhandschuhe zumindest vorläufig an den Nagel hängen musste.

Alexandra Kostenko hat mit Dimitry Pirog im Auftrag von boxenplus.de / Boxwelt.com ein Interview geführt. Es ist recht aufschlussreich geworden. Er hat den Willen, in den Ring zurück zu kehren, doch darüber scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen zu sein. Das Interview ist unbearbeitet und unverfälscht.

Alexandra Kostenko sagt: Einen Mann, den ich mit 12 Jahren zum ersten Mal getroffen habe und ihn als einen sehr großen, lustigen und spaßigen Freund meiner Eltern in Erinnerung habe, habe ich zu einem Interview als Erwachsene getroffen. Es geht um den Profiboxer Dmitri Pirog, der ehemalige Weltmeister der WBO im Mittelgewicht. 

Alexandra: Dmitri, Sie haben ganz unerwartet aufgehört zu boxen, was ist der Grund dafür?

Dmitri: Dies war mit meinem gesundheitlichen Zustand verbunden. Ich hatte einen Bruch im Rückenwirbel, was dazu geführt hat, dass ich mit dem Boxen aufhören musste, obwohl ich einen unterschriebenen Vertrag hatte. Dieser Bruch ist passiert, als ich angefangen habe meine Bestform zu erreichen. Wegen solcher zusätzlichen Belastungen konnte ein Bruch entstehen.

Alexandra: Haben Sie vor, in den Ring zurückzukehren?

Dmitri: Ich habe einen großen Wunsch und sogar konkrete Pläne an denen ich arbeite.
Die Spezialisten schließen die Möglichkeit nicht aus, dass ich in den Ring zurückkehren kann. Meine Verletzung ist schon sehr alt und ein sehr leistungsstarkes Korsett ermöglicht mir eine zusätzliche Belastung. Ich trainiere die ganze Zeit und bin in Topform.

Alexandra: Was machen Sie zurzeit?

Dmitri: Ich bin selbstständig und habe einen Fonds. Mit meinem Geschäft beschäftigte ich mich schon lange bevor ich zum Box gekommen bin.

Einmal im Monat veranstalte ich die sogenannte „Meister-Klasse“ eines Wohltätigkeitsfonds.

Das ist es was ich zur Zeit tue:
Vor zwei Jahren habe ich den Wohltätigkeitsfonds gegründet: „Die Gesundheit der Nation“
Die Förderung des Kindersports ist, was ich für wichtig halte. Mein Fonds ist einer der drei besten Fonds im Süden Russlands.
Dieser Fonds wird aus meinen Mitteln finanziert. Ich zeige auf, wo geholfen werden muss, wo ein Sportplatz errichtet werden muss usw. Dabei versuche ich besonders den ärmeren Kindern zu helfen. Sie können sich kostenlos sportlich betätigen und dabei etwas für ihre Gesundheit tun. Genauso beschäftige ich mich mit körperlich behinderten Kindern. Unter keinen Umständen ist das auf kommerzieller Ebene gedacht. 
Mir wurde oft angeboten Werbung zu machen und ich habe nie irgendeine Art von Werbung anderer dort platziert bzw. an kommerziellen Veranstaltungen anderer mitgewirkt. Das „große Geld“ abholen… Das habe ich immer ausgeschlagen und an nichts derartigem teilgenommen. Vielleicht hat Gott mir, auch dank meiner Weltansicht, die Möglichkeit gegeben so meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zum Leben reicht es mir jedenfalls.

Es ist außerdem sehr gut, dass sich Russlands Präsident, Wladimir Putin, seit 2009 auf den Sport konzentriert. In diesem Format beschäftige ich mich damit. Von Generation zu Generation wurde der Ausweitung des Kindersports bzw. der körperlichen Entwicklung nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Durch die Erziehung wurde es so immer weitergegeben.
Unsere Eltern damals hatten anderes im Kopf, sie mussten ans Überleben denken. Um es offen auszusprechen hatten wir eine schwere Zeit im Land, dass kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Deshalb sehe ich es auch jetzt, wie meine Altersgenossen die jungen Eltern von heute, ihre Kinder erziehen. Ich versuche ein Umdenken anzustoßen, neue Trends zu schaffen und Impulse zu geben. So wie es zur Zeit ist, ist es ein großes Problem. Der Mensch an sich ist von Natur aus faul. Jetzt wo auch die technologische Entwicklung in der Welt voranschreitet, werden wir immer fauler und fauler, selbst, um den Sender beim fernsehen zu wechseln, benutzen wir die Fernbedienung. Die Kinder verbringen 60 bis 70 % ihrer Zeit vor dem Computer oder mit dem Spielen am Tablet.

Da habe ich ein aktuelles Beispiel:
Ich bin zu meinen Freunden gefahren um sie zu besuchen. Diese Familie kenne ich gut. An einem Samstag sitzen wir bei ihnen, trinken Tee und reden. Ungefähr nach einer Stunde frage ich nach: „Wo sind den eure beiden Kinder? Man sieht und hört sie nicht.“

Erinnert ihr euch, wie es früher war? Es ist laut, es wird getobt, gesprungen, gelacht, gekabelt und später wieder gespielt. Da sagen die Eltern zu mir: „Die Beiden sind im Zimmer.“
Ich geh also in das Zimmer und sehe den einen am Computer und den anderen am Tablet spielen, es herrschte große Stille.
Nach einer weiteren Stunde sage ich zu dem Vater: „Schämst du dich nicht? Geh mit den Kindern wenigstens mal raus.“ Darauf hat mir der Vater dieser Kinder geantwortet: „Ehrlich gesagt, finde ich das sehr angenehm. Die Kinder machen keinen Lärm und ich kann mich erholen.“
Darauf erwidere ich: „Das sind utopische Gedanken, komm lass uns einen Ball nehmen und draußen auf dem Hof alle zusammen Fußball spielen.“ Die Antwort war: „Nein, wir schaffen es nicht die Kinder zu überreden, wenn überhaupt, müssen wir sie mit Gewalt herausziehen.“ Und ja es war nur mit einem Kraftakt und unter Tränen möglich, die Kinder vom Computer loszureißen. Als wir die Kinder nach draußen gebracht haben, kamen noch drei bis vier andere Kinder angelaufen und wir haben alle zusammen Fußball gespielt. Wir Erwachsenen haben uns ins Tor gestellt und bei den Kindern sind die Wangen rosa geworden, sie haben etwas geschwitzt und insgesamt gab es so viel Freude bei ihnen.

Das nächste Wochenende haben wir das ganze wiederholt. Eine Woche später erhielt ich einen Anruf von einer unbekannten Nummer: „Hallo Onkel Dima, hier ist Jegorka, können Sie bitte mit Papa sprechen, damit er mit uns Fußball spielt.“ Sie verstehen also die Absurdität zu der es gekommen ist. Ich denke, dass es nicht nur bei uns im Land so ist, sondern auf der ganzen Welt. Naja wenigstens versuche ich mit einiger Anstrengung etwas dagegen zu unternehmen.

Alexandra: Das hört sich nach einer großen Verantwortung und einer guten Sache an. Wenn wir beim Thema Sport bleiben: Wer ist denn Ihrer Meinung nach zurzeit der beste Boxer der Welt, unabhängig von der Gewichtsklasse?

Dmitri: Meiner Meinung nach ist es Floyd Mayweather, egal wie man es dreht und wendet. Aber da er aufgehört hat, gibt es ein paar Jungs, die wie ich finde als Nachfolger prädestiniert sind für diesen Titel. Zu diesen zähle ich Gennadi Golowkin und Andre Ward. Und ich spreche  nicht von den Leichtgewichten, wobei, z. B. Roman Gonzalez ein Wörtchen mitzureden hätte. Und man darf dabei natürlich auch Emmanuel Dapidran Pacquiao nicht vergessen. Wer von den beiden der bessere ist, kann ich nicht sagen. Ich habe die Namen genannt, die meiner Meinung nach dem deutschen Publikum bekannt sein dürften.

Alexandra: Wie müsste ein Anfänger beginnen, wenn er in Ihre Fußstapfen treten will?

Dmitri: Also wenn er in meine Fußstapfen treten will, dann kann das eigentlich niemand machen (lächelt). Bei mir ist es einfach so passiert, dass ich ins Profiboxen eingestiegen bin und gleich die großen Kämpfe durchgeführt hatte. Ich habe auch nicht wegen des Geldes geboxt, sondern weil ich einfach selbst boxen wollte. Als ich angefangen habe zu boxen, hatte mein erster Kampf gleich sechs Runden, dann acht, zehn und dann ging es richtig los. Man darf zunächst keine Angst vor Verletzungen haben, weil es keine unbesiegbaren Menschen gibt, weder beim Sport noch im Leben. Man muss lernen sein Vergnügen und seine Befriedigung aus dem zu erhalten,  bei dem man sich engagiert und allgemein bei allen Aktivitäten. Das klingt schon Paradox, denn welches Vergnügen kann man daraus erhalten, indem man boxt? Es kämpfen zwei Männer, brechen sich die Finger aber nein, man kann wirklich Freude erlangen. Ich habe es gelernt, ich genieße es wirklich, denn wenn man es nicht tut, erhält man auch kein Ergebnis.

Alexandra: Was stört Sie daran ein ruhiges Leben zu führen und was hilft dabei?

Dmitri: Meine Philosophie lautet: Es ist egal was passiert, mag es auch so negativ sein, auch darin muss man das Positive finden oder irgendeinen Nutzen daraus ziehen bzw. wenigstens etwas daraus lernen. Deshalb finde ich in allem etwas positives, dass hilft mir. Selbst alles was meine Verletzung betrifft. Ja, eine gewisse Zeit lang war ich niedergeschlagen und davon in Anspruch genommen. Ich habe mir wirklich viele Sorgen gemacht und dann haben mir die Ärzte gesagt: „Mit so einer Diagnose kommt einerseits eine Operation in Frage, wobei dabei nicht ausgeschlossen ist, dass es bei der nächsten schweren Belastung wieder brechen kann. Dann würde sich selbst kein Spezialist mehr daran trauen und es kann zu einer Lähmung kommen. Es ist ja beinahe dazu gekommen. Andererseits, wenn du keine Operation machst, musst du dich bis zum Ende deines Lebens immer physisch betätigen und dich die ganze Zeit fit halten.“ Da ist es kein Wunder, dass ich niedergeschlagen war. Und nachdem einige Zeit vergangen war, habe ich versucht etwas positives darin zu sehen, selbst in negativen Situationen, wie dieser. Ich habe alles nochmal überdacht und mir gesagt: „Nein, womöglich ist es auch gut so, selbst wenn es um mich herum keinen Sport mehr gibt oder sportliche Leistungen, die ich erzielen kann, werde ich mich selbst in einer guten Form halten. Ich bin einfach verpflichtet das zu tun. Schon ist es etwas gutes und nichts schlechtes mehr und ich hab meine Pluspunkte aus der Situation gezogen. Das war ein Beispiel (lächelt).

Alexandra: Was würden Sie unseren Lesern zum Schluss gerne wünschen oder sagen?

Dmitri: Zuerst einmal möchte ich allen so viele positive Emotionen im Leben wie möglich wünschen. Damit man in der Lage ist ohne Grund zu lächeln, es weniger negativen Einfluss gibt und natürlich Frieden. Alles was heutzutage geschieht, wenn man es global betrachtet, ist wirklich alarmierend und erschreckend. Das, was z. B. zur Zeit in der Ukraine geschieht ist sehr verstörend. Warum ich gerade das angesprochen habe? Weil es in Europa ist und direkt in der Nähe. Das alles ist nicht weit weg von mir, ich sehe was geschieht, sehe den stattfindenden Bürgerkrieg, anders kann man es nicht ausdrücken. Man sieht dort Brüder gegen Brüder kämpfen und Väter gegen Kinder, es ist das Schrecklichste, was überhaupt geschehen kann und ich sehe die Folgen. Ich sehe die zerstörten Schicksale. Viele kommen hierher (Südrussland). Ich sehe, wieviele Leute ihre Wohnorte verlassen, wo sie mit ihren kleinen Kindern gelebt haben und können sich nicht an dem neuen Ort einleben. Das ist wirklich etwas sehr schreckliches, monsterhaftes.

Ich will allen von uns wünschen, dass sie, egal an welchem Ort, Ruhe und Frieden finden. Das ist sehr wichtig für uns und unsere Kinder.

Alexandra: Vielen Dank für die warmen Worte und das tolle Gespräch! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren wohltätigen Aktionen!

Große Worte, die Dmitry Pirog gebraucht und seine Sorge um die nächste Generation spricht für den sympatischen 35-jährigen. Ob und wann es zu einer Rückkehr in den Ring kommen wird, bleibt wohl noch im nebeligen Bereich. Wir halten über Alexandra Kostenko Verbindung zu ihm, werden es rechtzeitig erfahren und darüber berichten.

Hier als Erinnerung noch einmal die entscheidende Phase das Kampfes zwischen Pirog und Jacobs:

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