80 Jahre! Warum Jürgen Blin so früh bei Hans-Peter Siemons aufschlug

Hans-Peter Siemons, Karsten Honhold, Peter Salomon und Christian Honhold

Hans-Peter Siemons, Karsten Honhold, Peter Salomon und Christian Honhold (von links nach rechts)

Schon als Boxer wollte Jürgen Blin (75) immer der Erste, der Schnellste, der Beste sein. Er hat eisern durchgehalten…
Der Beweis: Heute, am 22. Juni, feiert sein Freund Hans-Peter Siemons den 80. Geburtstag. Ex-Europameister Blin schlug aber schon gestern bei Siemons in Lübecker Stadtteil St. Gertrud auf, zusammen mit Heini Meinhardt, dem früheren Deutschen Meister im Mittelgewicht. „Ich dachte, ich habe Peters Geburtstagstermin irgendwie verpennt und wir müssen nachfeiern“, so der Ali-Gegner von 1971. Musste er natürlich nicht, dafür feierte er dann einfach einen Tag vorher!
Klar, dass sich die Freunde Siemons und Blin viel zu erzählen hatten. Und selbstverständlich ging es hauptsächlich um die gute, alte Zeit des deutschen Boxsports. Das Geburtstagskind hat zu diesem Höhenflug auch kräftig beigetragen, nicht im Ring, sondern als Manager, Promoter und Veranstalter.
Als Aktiver bestritt Junior Siemons in Lübeck 17 Kämpfe. „Na ja, die waren so durchwachsen, mehr auch nicht, deshalb habe ich damit schnell Schluss gemacht“. Siemons machte eine Bäckerlehre, fuhr dann für eine schwedische Reederei zur See. „Na klar, ich war immer auf Großer Fahrt, war fast überall auf der Welt, viel in Ostasien“. Daheim in der Marzipanstadt Lübeck gefiel es ihm aber doch besser, deshalb wechselte er bald darauf (1965) in die Gastronomie. Erfolgreich! Aber dann schlug plötzlich auch das Boxfieber wieder bei ihm zu…
Die Lübecker Hansehalle wurde zu seinem (Box)Wohnzimmer. „Ich glaube, ich habe dort insgesamt 50 Veranstaltungen präsentiert“. Los ging‘ s in den 70er Jahren. Mit seinen Lokalmatadoren Karsten Honhold (Warnsdorf), Peter Scheibner (Eutin) und Jürgen Voss (Travemünde) schlug er in der Hansehalle zu. Unvergessen auch die Schlacht des späteren Weltmeisters Eckhard Dagge 1973 mit Shako Mamba. Dagge, damals bei Fritz Gretzschel in Berlin unter Vertrag, wurde rundenlang von dem Kongolesen durchgeprügelt, bis er schließlich doch noch das Blatt wenden und einen knappen Sieg einfahren konnte.
Siemons der Macher, der Unberechenbare. Beweis am 25. April 1982: In der Hansehalle waren um Mitternacht gerade Lichter nach einem erfolgreichen Siemons-Kampftag ausgegangen, als sich der Veranstalter mit Boxern und Freunden zur Siegesfeier im Lokal Harder in der Nähe des Holstentors traf. Mit dabei Mittelgewichtler Frank Wissenbach aus Berlin, den Siemons gerade „unter seinen Fittichen“ hatte. Der Rechtsausleger sollte in absehbarer Zeit um den Europatitel im Mittelgewicht boxen – gegen den Sieger des Kampfes Louis Acaries – Pierre Joly (beide Frankreich), der an diesem Abend in Paris ermittelt werden sollte. Kurze Diskussion, dann die Siemons-Entscheidung: „Das müssen wir sehen, da sind wir dabei“!
Unglaublich! Morgens um 2 Uhr setzte Siemons alle Hebel in Bewegung, organisierte für 9 Uhr einen Flug im Privat-Jet von Lübeck-Blankensee nach Paris, orderte Karten bei Max Stadtländer, der als Mit-Organisator des Kampftages in Paris fungierte. Und alles ohne Handy…
Pünktlicher Abflug in Lübeck, Frühstück schon mit Cafe au lait und Croissants in Paris. Toller Kampf am Abend , Acaries siegte, mit dem Taxi zum Flughafen (Vollgas), Rückflugstart kurz vor Mitternacht, aber Flughafen Blankensee in Lübeck war schon lange geschlossen, also Landung in Hamburg, mit Sondererlaubnis, Polizei am Flugzeug, aber alles okay!
Übrigens kämpfte Frank Wissenbach acht Monate später in Paris gegen Acaries, verlor jedoch den EM-Kampf, der in einem großen Zirkuszelt stattfand. Auch BDB-Präsident Theo Wittenbrink, der am Ring saß, „verlor“ etwas – seine prall gefüllte Geldbörse nämlich, die er in der Tasche seines Leopardenmantels trug. Was er nicht ahnte: Die Langfinger im Zelt waren Weltmeister ihres Fachs. „Goldfinger“ Theo war nämlich nur einer von vielen, die ohne Bargeld die Heimreise antreten mussten…
Dann der Mauerfall 1989, auch für Siemons ein großes Spektakel, der Beginn eines neuen, ganz besonderen Lebensabschnittes. Hatte der „Boxverrückte“ schon vorher häufig mal zu einem Kurzbesuch bei den Boxern von Traktor Schwerin vorbeigeschaut und dabei engen, freundschaftlichen Kontakt zu Meistertrainer Fritz Sdunek aufgebaut, so stieg er jetzt richtig bei den Box-Assen der ehemaligen DDR ein. Siemons übernahm am Schweriner See das Strandhotel, machte aus dem grauen Laden ein schmuckes Hotel – und managte ab sofort die Traktor-Boxer. Das heißt, der „Traktor“ verschwand in der Garage, der „neue“ Club mit Stars wie Andreas Zülow (Olympiasieger 1988) hieß ab sofort Schweriner SC. 1990 schon der große Triumph: Die Jungs um Siemons und Zülow wurden „Erster gesamtdeutscher Mannschaftsmeister“.
1992 stieg wieder eine Riesensause in Siemons‘ Strandhotel! Grund: Feder Andreas Tews hatte bei den Olympischen Spielen in Barcelona die Goldmedaille gewonnen. Gold für die verschworene Gemeinschaft der Schweriner Boxer um und mit Hans-Peter Siemons.
Warum Siemons dann aber plötzlich wieder „zuhause“ in der Lübecker Hansehalle zuschlagen ließ? Ganz einfach, Investoren hatten das Strandhotel 1993 von der Stadt Schwerin gekauft, aber ihre großen Pläne konnten sie nicht verwirklichen, das ehemalige Schmuckstück verkam zu einem Schandfleck am See. Siemons wechselte deshalb geschäftlich nach Wismar, brachte sein neues Hotel „Alter Schwede“ schnell zu Glanz –und engagierte sich nebenbei für die Wismarer Amateurboxer.
Jetzt ließ er es auch in der Lübecker Hansehalle wieder richtig krachen. Denn die Weltmeister von Universum-Box-Promotion schlugen gern bei und für Siemons zu. Juan Carlos Gomez (drei Titelverteidigungen), Jürgen Brähmer, Artur Grigorjan, Armand Krajnc, Ahmet Kotiev und Istvan Kovacs begeisterten die Fans. Nicht zu vergessen Christian Honhold, Sohn von Ex-Meister Karsten Honhold, der für das nötige Lokalkolorit sorgte. Auch Rocky präsentierte sich den Boxfans in der Hansestadt (1994), konnte aber mit seinem Kampf gegen den Ami Willie Kemp nicht begeistern.
Mit dem Ende von Universum zu Beginn des neuen Jahrhunderts zog sich dann aber auch Siemons aus dem Boxgeschäft zurück – „weil das Boxen heute nicht mehr so gut, so interessant wie früher ist“. Das findet Ehefrau Irene, mit der er 58 Jahre verheiratet ist, auch ganz in Ordnung, haben die beiden doch jetzt endlich Zeit für- und miteinander. Schade nur, dass der umtriebige Manager nicht wirklich fit ist, die Beine wollen nicht mehr so recht. Aber Siemons ist und bleibt ein Kämpfer: „Da muss ich durch, versuche eben das Beste draus zu machen“!
PS: Ob Jürgen Blin und Heini Meinhardt tatsächlich durchgehalten und in den 80. Siemons-Geburtstag hinein gefeiert haben, ist nicht bekannt…

Text und Foto: Wolfgang Weggen

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