Exodus der Faustkämpfer – Der Amateur-Boxsport steckt in der Krise

Wikinger-Chef Winfried Spiering - Foto: Wolfgang Wycisk

Wikinger-Chef Winfried Spiering – Foto: Wolfgang Wycisk


Viele der besten deutschen Faustkämpfer wechselten innerhalb kurzer Zeit von den Amateuren zu den Profis. Befinden sich der Deutsche Boxsport-Verband (DBV) und der Profisport im Verdränger-Wettbewerb oder gibt es die Chance auf eine gemeinsame Zukunft?
Seit einem Vierteljahrhundert ist Winfried Spiering Chef des Wiking Boxteams, einem der renommiertesten Profi-Boxställe Deutschlands. Demnächst feiert er sein 25-jähriges Veranstaltungsjubiläum. Er kann dem DBV helfen. Der Verband muss ihn nur anrufen.
Herr Spiering, am 25. April 1992 veranstalteten sie in Berlin ihren ersten Box-Event mit Ralf Rocchigiani als Hauptkämpfer. Das ist jetzt ein Vierteljahrhundert her. Sind sie in Party-Laune?
Spiering: 25 Jahre Wiking Box-Events ist ein Grund zum Feiern. Wir planen Ende April eine Veranstaltung in Parsberg. Hauptkämpfer ist der ehemalige IBF Inter-Continental Champ Ünsal Arik. Er ist in Parsberg geboren. Arik wird einen acht Runden Kampf bestreiten, um wieder in die Ranglisten zu kommen. Fernziel ist ein großer Kampf in einem der renommierten Weltverbände und dafür muss Arik in den Ranglisten unter den Top Ten geführt werden. Vorrangig werden wir auf eine WM Chance gegen Jack Culcay hinarbeiten.
Ich komme gerade von einer Pressekonferenz mit Parsbergs Bürgermeister. Der ist hellauf begeistert von dem Event und hat spontan die Schirmherrschaft übernommen.
Ünsal Arik ist in der Türkei umstritten, wegen seinen regierungskritischen Äußerungen.
Spiering: Das mag sein, aber wir werden in Parsberg boxen und keine politische Kundgebung veranstalten.
Wer tritt noch an?
Spiering: Ronny Gabel wird gegen Predrag Radosevic um den IBF Continental-Titel kämpfen. Unser Doppelmeister im Weltergewicht Angelo Europa Frank und der internationale DM im Halbschwer, Elvis Hitman Hart werden ebenfalls zum Einsatz kommen.
Weiterhin hat man mich gebeten, einige Amateurboxer, möglichst aus der Region starten zu lassen. Den Wunsch werde ich gerne erfüllen. Natürlich halten wir uns dabei an das Reglement des DBV.
Amateure und DBV sind gute Stichwörter: Mit Leon Bunn, Denis Radovan, Albon Pervizaj, Araik Marutjan, Emir Ahmatovic und zuletzt Serge Michel wechselten in kurzer Zeit viele der besten Amateurboxer zu den Profis. Ist das olympische Boxen am Ende?
Spiering: Das glaube ich nicht. Amateure wird es immer geben und das ist auch gut so. Allerdings sind wir von einer Koexistenz zwischen Profis und Amateuren, wie sie zum Beispiel im Fußball gelebt wird, weit entfernt.
Woran liegt das?
Spiering: An den Verlustängsten des DBV. Statt Probleme offensiv zu begegnen, verschanzt man sich. Man versucht Sportler mit Knebelverträgen zu binden. Das funktioniert jetzt nicht und wird auch zukünftig nicht funktionieren. Gleichzeitig ist der DBV von den Athleten viel zu weit entfernt. Anstatt auf die Sportler und deren Ängste und Sorgen einzugehen, versucht man es mit Befehl und Gehorsam. Dieses Prinzip versagt bei jungen Menschen.
Bestes Beispiel ist Albon Pervizaj und seine Olympia-Qualifikation. Der DBV holt David Graf zurück von den Profis und setzt ihn Pervizaj vor die Nase. Das Ergebnis? Graf verliert in Rio seinen Auftaktkampf und verschwindet wieder in der Versenkung. Und Pervizaj? Der geht zu den Profis. Bei anderen Athleten ist die Faktenlage vergleichbar.
Was macht der DBV falsch?
Spiering: Der Boxsport hat sich geändert und das ist nicht erkannt worden. Ich empfehle dem Präsidium über eine Strukturreform nachzudenken.
Gibt es denn etwas, was der DBV richtig macht?
Spiering: Oh ja, sogar einiges!
• Die Arbeit in den Vereinen und an den Stützpunkten ist gut und die Ausbildung der Boxer hoch.
• Durch die höheren Rundenzahlen ist die APB (AIBA Pro Boxing) und WSB (World Series of Boxing) attraktiver geworden. Ebenfalls ist hier das Boxen mit freiem Oberkörper und das 10-Point-Must-System (Wertungssystem im Profiboxen) eine Bereicherung. Alles Dinge, die schon lange im Profisport praktiziert werden und es ist schön, dass man sich diesen nicht verschließt.
Schauen sie nur einmal in die Schweiz. Dort ist der Amateur- und Profisport seit eh und je unter einem Dach.
• Ich habe gehört, dass man bei den nächsten Olympischen Spielen längere Distanzen boxen lassen wird. Das ist gut, wenn man die Spiele für Profis attraktiver gestalten möchte. Sechs Runden-Kämpfe wären nicht schlecht.
• Dann sind die Ranglisten im DBV und im Amateur-Weltverband AIBA wesentlich besser organisiert. Aufgrund der Vielzahl der Profiverbände gibt es im deutschen Berufsboxen faktisch kein Ranking. Dadurch gibt es viele Waldmeister und wenige Weltmeister. An dieser Stelle ist der BDB (Anm.: Bund Deutscher Berufsboxer) gefordert. Als größter Verband der deutschen Profis muss er Verantwortung übernehmen und ein entsprechendes System aufbauen.
Artur Mann ist ebenfalls ein Boxer, dessen Talent der DBV anders einschätzte.
Spiering: Man sah nicht, dass Artur der kommende Mann im Schwergewicht sein wird. (Anm.: Bei den Profis ist das Schwergewicht das Cruisergewicht)
Sie arbeiten bei Mann mit Sauerland zusammen. Ist diese Zusammenarbeit Neuland, die sie und Sauerland betreten haben?
Spiering: Nein, wir kooperieren schon lange. Die Zusammenarbeit sieht so aus, dass Sauerland die Promotion übernimmt und das Wiking Boxteam behält das Management in der Hand. Wir stimmen dann letztendlich zu, wann, wer und wo geboxt wird. Das ist geübte Praxis und hat bei Sebastian Sylvester, Henry Weber und Thomas Troellenberg bestens funktioniert. Bei Artur Mann setzen wir es fort.
Uns ist nicht ganz klar, warum sie sich einen Partner an den Tisch holen. Es macht doch Verhandlungen schwieriger und man muss sich die „Beute“ teilen.
Spiering: Wir als kleiner Boxstall, kleine Promotion und kleines Management haben keine Fernsehverträge. Die hat Sauerland und kann dadurch die TOP-Boxer ganz anders präsentieren und ihnen bessere Börsen bezahlen!
Lassen sie uns ein kleines Planspiel durchführen. Ein Profi-Stall würde die Boxer des DBV promoten und der DBV würde deren Management in der Hand behalten. Machbar?
Spiering: Es wäre machbar. Allerdings müsste der DBV bereit sein, sich mit uns an einen Tisch zu setzen.
Hierfür hat doch der DBV vor einigen Monaten den ersten Aufschlag getan?
Spiering: Bitte?
Michael Müller , Sportdirektor des DBV - Foto: Wolfgang Wycisk

Michael Müller , Sportdirektor des DBV – Foto: Wolfgang Wycisk

Bei der Diskussion „Profis zu Olympia“ hat DBV Sportdirektor Michael Müller folgendes gesagt:
„…Was wäre, wenn der DBV mit einem eigenen Promotor auftreten und mit einigen seiner Spitzenboxer gegen TOP-Profis antreten würde? Wer will es der AIBA und dem DBV verdenken, den Boxsport so attraktiv wie möglich, mit seinen weltweit besten Athletinnen und Athleten in attraktiver und moderner Form zu präsentieren?“ (Quelle: go4boxing.com)
Spiering: Mir war Herrn Müllers Bereitschaft zu Gesprächen nicht bekannt. Wenn es nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sollten wir uns zusammensetzen.
Letztendlich auch, damit ein breites Publikum Entscheidungen nachvollziehen kann und nicht wie jetzt, wenn durch die Medien bekannt wird, das der eine oder andere Amateur zu diesem oder jenem Boxstall gewechselt ist.
Dann würde aber auch alles auf den Tisch gehören:
• Auf welche Boxer sollte man sich konzentrieren und wie sehen gemeinsame Vermarktungskonzepte aus?
• Welche Kämpfe werden wie geplant und wie berücksichtigt man Olympia?
• Aber auch Themen wie man die Boxer an den DBV bindet, gehören dazu, genauso wie das Aufteilen von Einnahmen.
Wenn die Bereitschaft da ist und man sich vertraut, dann könnten auch die besten des DBV gegen die besten Profis kämpfen.
Gerade so erfahrene Trainer wie Uli Wegner oder so bekannte Boxer wie Jürgen Brähmer haben da schon gute Gedanken geäußert.
Ich sehe neue Formate für die Medien, wie sie den Fans bisher verschlossen waren.
Herr Spiering, sie kommen ins Schwärmen.
Spiering: Ich bin Visionär und sehe das Potential. Schauen sie doch einmal nach Großbritannien. Da hat man uns Deutsche in diesen Punkten längst überholt.

Ich habe bereits Vorgespräche dahingehend geführt, dass man Bundesliga-Kämpfe der Amateure zusammen mit Profikämpfen veranstalten könnte. Das ist doch das, was das Publikum sehen will.

Wenn das, was sie mir eben vorgelesen haben, kein leeres Geschwätz ist und der DBV an seriösen Gesprächen interessiert ist, dann ruft er mich an.

Wolfgang Wycisk

Wolfgang Wycisk

Herr Spiering, vielen Dank für das Gespräch.

Interview und Text: Wolfgang Wycisk

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