Nicole Wesner & Steven Küchler – Das große Doppelinterview

Fotos: Team Nicole Wesner

Das man auch als Späteinsteigerin im Boxsport erfolgreich sein kann, beweist gerade die in Wien lebende Nicole Wesner. Vor 2 Jahren absolvierte sie in Dessau ihren ersten Profikampf und ist nun mit einer Kampfbilanz von 9 Siegen in 9 Kämpfen (4 mal durch Knock-out) Weltmeisterin in 2 Verbänden. In ihrer Gewichtsklasse, dem Leichtgewicht, belegt sie in der internationalen BoxRec-Liste immerhin den 8. Rang. Steven Küchler war ein sehr erfolgreicher Amateurboxer, kurzzeitig Profiboxer und ist jetzt als Trainer tätig. Zusammen habe sie das erreicht, wovon jedes Boxer/Trainer Gespann träumt. Das ist Anlass genug, Nicole Wesner und ihrem Trainer Steven Küchler ein paar Fragen zu stellen:

Hallo Nicole und Steven, es ist zwar schon eine Weile her, aber noch einmal herzlichen Glückwunsch zum Sieg bei der Doppel-WM der Verbände WIBF und WBF im Leichtgewicht. Wie habt Ihr im letzten halben Jahr realisiert, dass Ihr Weltmeisterin und Weltmeister-Trainer seid?

Nicole Wesner: Noch nicht. Ich glaube, das kommt erst mit der Vorbereitung auf die erste Verteidigung.

Steven Küchler: Ich werde ja fast täglich bei der Arbeit daran erinnert und es fühlt sich gut an aber man ist ja der gleiche wie vorher auch.

Wesner Nicole1

Beschreibt doch mal kurz den wichtigen WM-Kampf aus Eurer Sicht.

Nicole Wesner: Ich kannte das Video von meiner Gegnerin Gina Chamie gegen Ramona Kühne. Da ich mit Ramona schon in der Vergangenheit sehr viele Sparring-Sessions absolviert hatte, konnte ich Gina einordnen. Ramona ist ja eine Boxerin, die sehr viel Druck nach vorne macht und Gina hat damals 6 Runden (Kampf wurde durch TKO wg. Verletzung an Ginas Ellbogen abgebrochen) dem Druck von Ramona Stand gehalten und ganz gut mitgeboxt. Sie ist technisch nicht schlecht, sehr beweglich, eine recht aktive Boxerin, aber kam mit Ramonas Körpertreffern nicht klar.

Unser Kampfkonzept war daher zu Beginn ein paar harte Bomben zu setzen, damit sie etwas ruhiger wird und dann viel Körpertreffer zu setzen. Das Konzept hat 1:1 funktioniert. Nach den ersten harten Treffern hatte sie einen ziemlichen Respekt und hat sich nach jeder Aktion von mir immer mehr zurückgezogen. In der ersten Runde war es noch recht ausgeglichen, aber der 2. Runde habe ich das Ruder übernommen, wechselte viel zwischen Kopf und Körper. In der 3. Runde habe ich sie permanent in der Halbdistanz mit Körpertreffern bearbeitet. Sie ging in den drei Runden recht oft zu Boden- erinnern kann ich mich an fünf Mal, vielleicht war es auch mehr. Ein Leberhaken beendete den Kampf durch Knock-out in der 3. Runde.

Steven Küchler: Da gibt es nicht viel zu erzählen. Es hat Bumm gemacht und fertig. Nicole hat an dem Abend den „fast“ perfekten Kampf gemacht und die vorher zurechtgelegte Strategie und Taktik 1:1 umgesetzt und so kam, was kommen musste.

Wesner Küchler PNGHabt Ihr Euch gedacht, dass der Kampf so schnell zu ende sein wird?

Nicole Wesner: Ganz und gar nicht. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich schon etwas Respekt vor ihr hatte und habe anfangs überlegt, ob Gina nicht einen Tick zu stark für mich sein könnte. Dass der Kampf dann so easy war, hat mich dann doch überrascht und war mir schon fast etwas peinlich. Schließlich wollte ich mir die Weltmeisterschaft hart erkämpfen. Aber die Zuschauer waren begeistert -ein Knockout begeistert die Leute immer- und das war mir auch wichtig.

Steven Küchler: Ich hatte nie Zweifel, dass Nicole den Kampf nicht durch KO gewinnt, dass es aber so schnell und eindeutig wurde, nötigt mir eine Verneigung vor Ihrer Leistung ab.

Erzählt doch mal ein bisschen von der Vorbereitung.

Nicole Wesner: Meine Vorbereitung hatte Auf und Abs. Ich bin 6 Wochen vor dem Kampf nach Berlin und da Ramona Kühne, Cecilia Braekhus und Jennifer Retzke früher als ich ihre Kämpfe hatten, ging meine Sparrings-Phase diesmal viel früher los als sonst, da wir die Sparrings mitnehmen wollten. Drei oder vier Wochen vor dem Kampf hatte ich schon ein 10-Runden-Sparring mit Jenni, in dem wir beide ein hohes Tempo gegangen sind, so dass ich hinsichtlich meiner physischen Voraussetzungen für den Kampf schon mal durchatmen konnte.
Dann bin ich krank geworden, hatte eine Erkältung und konnte 10 Tage nicht trainieren. Nur 8 Tage vor dem Kampf hatte ich meine erste Trainingseinheit nach der Pause und war ganz erschrocken. Ich war nicht spritzig, nicht explosiv, also alles andere als eine Bestform. In der Einheit darauf war es schon besser und Tag für Tag kam ich wieder in die Nähe meiner alten Form. Überraschenderweise bin ich gar nicht in Panik geraten, weil ich vor dem wichtigsten Kampf meines bisherigen Lebens so einen langen Ausfall hatte. Steven war sehr entspannt und sich absolut sicher, dass ich den Kampf souverän gewinnen werde. Er war sich so sicher, dass bei mir auch nie Zweifel aufkamen.

Vor 2 Jahren ist Nicole erst Profi geworden, nun ist sie Weltmeisterin. Hättet Ihr Euch gedacht, dass alles so schnell geht?

Nicole Wesner: Ich habe schon früh den Vergleich mit sehr guten Boxerinnen gesucht und habe noch als blutiger Anfänger Sparrings mit Ramona Kühne, Cecilia Braekhus, Klara Svensson und Rola El-Halabi gemacht, um zu sehen, wo ich im internationalem Leistungsvergleich stehe. Mein Fazit war, dass dies alle tolle Boxerinnen sind, aber das ich das eines Tages auch kann. Dass es so flott ging, war dann doch schneller als erwartet.

Steven Küchler: Das was Nicole geschafft hat, ist so etwas wie ein kleines Märchen. Sie lebt einen Traum und lässt diesen dann auch war werden. Vom ersten Tag an unserer Zusammenarbeit war ich davon überzeugt, dass Nicole mal Weltmeisterin wird. Das Tempo, in dem dies passiert ist hat mich dann doch überrascht, aber entspricht meiner Philosophie;: „Geht nicht, gibt´s nicht!“.

Wesner Nicole2Wie verliefen die letzten 2 Jahre? Seit wann arbeitet Ihr beide eigentlich zusammen?

Nicole Wesner: Ich manage mich ja selbst, daher verlief es nicht alles so, wie ich es gerne gehabt hätte, weil hinten und vorne das Geld fehlte. Für jeden Kampf musste ich schauen, wie die Unkosten des Kampfes gedeckt werden. Die meisten Veranstalter haben nur ein kleines Budget und wenn die Veranstalter nur kleine Kampfbörsen für die Gegner zahlen können, dann bekommt man für dieses Geld meist keine tollen Gegner. Nach meinem 4. Profikampf hatte ich die Schnauze voll von diesen typischen Aufbau-Gegnern. Aber die Gegner, die ich wollte, haben einfach zu hohe Vorstellungen hinsichtlich ihrer Kampfbörsen. Daher habe ich dann auch Kurs auf einen Titelkampf genommen in der Hoffnung, dass sich etwas ändert, da Veranstalter Titelkämpfe besser vermarkten können und eventuell mehr Geld für bessere Gegner akquirieren können.

Steven und ich arbeiten seit November 2013 aktiv zusammen. Wir waren aber schon vorher im engen Kontakt. Ende 2013 hatte ich mein komplettes Trainingsumfeld geändert, zum einen in Wien, zum anderen trat Steven in mein Leben. Im letzten Jahr hat sich unglaublich viel bei mir getan. Ich muss fast lachen, wenn ich mir alte Videos anschaue.

Steven Küchler: Das ist eigentlich eine ganz witzige Story. Ich hatte Nicole´s Namen in einer Ergebnisliste gesehen und weil ich ihn nicht kannte, habe ich begonnen zu recherchieren. Und sind wir doch mal ehrlich, Ihre Geschichte ist schon verrückt. Und als Ich Nicole damals angeschrieben hatte stand nie auf dem Plan, dass wir mal zusammen arbeiten, aber Sie hatte da recht genaue Vorstellungen und so haben wir das dann vereinbart. Nach unserem 1. Training wusste ich das es noch viel Arbeit werden würde aber mir war sofort klar, wenn es jemand schafft, dann Sie. Dass es in den letzten 2 Jahren nicht immer nur Sonnenschein war versteht sich von selbst. Nicole kann auch anstrengend sein aber immer locker durch die Hose atmen, dann wird das schon.

Wie realisiert ihr Eure Zusammenarbeit zwischen Wien und Berlin?

Nicole Wesner: Im Groben kann man sagen, dass ich für die Sparrings immer nach Berlin komme. Im Jahr 2014 war ich insgesamt sicher so circa 5 Monate in Berlin. Steven und ich stehen aber immer im engen Kontakt.

Hast Du eine Wohnung in Berlin?

Nicole Wesner: Nein, ich habe keine Wohnung. Ich wurschtel mich immer irgendwie durch und Steven hilft mir auch oft dabei. Ich habe schon in einem Hostel, Boxkeller und leerem Bürogebäude gewohnt. Für die Vorbereitung meines WM-Kampfes habe ich in einem buddhistischem Zentrum gewohnt. Ich meditiere täglich und in manchen Unterkünften war das recht schwierig. Daher war ich sehr glücklich, dass ich in dem buddhistischem Zentrum wohnen konnte. Die Zeit im buddhistischen Zentrum in Berlin hat mir eine tolle Energie gegeben. Ich habe auch einige Zeit in einem buddhistischen Zentrum in Barcelona verbracht.

Wie kann man sich so ein buddhistisches Zentrum vorstellen? Wie schaut Dein Alltag aus?

Nicole Wesner: In Berlin bin ich morgens um 5 Uhr aufgestanden. Um 5.30 war die erste gemeinsame Meditation mit den anderen, die im Zentrum wohnen. Sie ging bis ca. 7.30 Uhr. Wir haben gemeinsam gefrühstückt, dann hat jeder seinen Tag individuell gestaltet, also in meinem Fall habe ich dann trainiert. Abends war entweder wieder eine gemeinsame Meditation von 2-3 Stunden, oder jeder hat für sich meditiert. In Barcelona war es ähnlich, nur dass es morgens erst um 7.30 Uhr losgeht.

Ihr seid beide unabhängig von einem Boxstall- Nicole als Boxerin und Steven als Trainer. Was sind die Hintergründe sowie Vor- und Nachteile?

Nicole Wesner: Ich wollte mir am Anfang erstmal einen Überblick verschaffen, bevor ich mit einer nicht-informierten Entscheidung einen Vertrag unterschrieben hätte. Mittlerweile sehe ich das so, dass das Profi-Boxen einfach ein sehr schwieriges Business ist, in dem die meisten damit kämpfen, ihre Unkosten zu decken. Bei den meisten Promotern ist nicht das Geld da, dass Du große Kämpfe mit super Gegnern machen kannst. Ich habe aber ehrgeizige Ziele und auch eine Vorstellung, wen ich wann boxen will. Wenn ich einen Vertrag habe, muss ich die Leute boxen, für die das Budget eben gerade vorhanden ist. Es ist zwar nicht sehr einfach alleine, aber wenn ich es verbocke, dann bin ich eben selbst schuld. Hinzukommt, dass man bei den meisten Boxställen kein Geld verdient. Sie versprechen einem das Blaue vom Himmel wie z.B. das sie Sponsoren für Dich finden, aber wenn Du Dir die anderen Sportler von dem Boxstall anschaust, so siehst Du, dass dies vielleicht der gute Wille des Promoters ist, die Realität aber doch sehr entfernt davon ist. Wenn kein Geld für gute Gegner da ist und man auch nichts verdient, warum soll ich dann einen Vertrag unterschreiben und meine Visionen beerdigen?
Der Vorteil sich selbst zu managen ist vor allem die Freiheit. Ich entscheide, wer mein Trainer ist, wo, wann und gegen wen ich boxe. Ich habe eine Vision und die versuche ich mit meinem Trainer umzusetzen. Einzig das Geld fehlt, um diese Vision umzusetzen.
Und damit sind wir auch schon beim größten Nachteil: Geld. Für optimale Bedingungen braucht man sehr viel Geld. Sei es für den Trainingsprozess, denn ich benötige dringend Geld für Massagen, Physio-Therapie, Leistungsdiagnostik, Trainer, Trainingslager und mehr; als auch für Kämpfe, denn jeder Kampf bedeutet ein Haufen Ausgaben. Hinzu kommen natürlich normale Lebenshaltungskosten. Der zweite größte Nachteil ist der Workload. Sponsorenakquise, Sponsorenpflege, Interviews, TV-Drehs, Homepage, Facebook und viel mehr. Das kostet alles sehr viel Zeit, die ich lieber ins Training stecken würde. Zusammengefasst kostet das ganze Profi-Boxen, wenn man es richtig machen will, viel mehr Zeit und Geld im Vergleich zum Amateurboxen.

Steven Küchler: Ich habe ja schon einmal für einen Boxstall gearbeitet. Damals als Headcoach von Arena Boxpromotion. Es war eine super Zeit und ich habe viel für mich mitgenommen. Es ist aber auch so, dass Du um erfolgreich zu sein Deinen eigenen Weg gehen musst und als free Agent habe ich die Möglichkeit, nur mit den Sportlern zu arbeiten mit denen ich arbeiten möchte. Bei allen Schwierigkeiten wie sie Nicole schon aufgeführt hat ist aber der größte Vorteil der, dass ich mit Sportlern arbeiten kann die wirklich wollen. Sicher muss man sein Brot verdienen aber das mit dem Geld das wird schon.

Kannst Du vom Boxen leben?

Nicole Wesner: Bislang noch nicht. Die ersten Jahre habe ich mich zum einen über Wasser gehalten mit Gelegenheitsjobs und kleineren Sponsoren. Außerdem habe ich -zig Tausende von meinen Ersparnissen aus meinem alten Job in den Sport investiert. Seit Oktober 2014 habe ich myTeak als Hauptssponsor, der zumindest meine Fixkosten deckt, aber es fehlt immer noch hinten und vorne an Geld, das ich gerne in den Sport stecken will. Ob ich jemals das Geld verdienen werde, was ich in meinem alten Job verdient habe, ist fraglich. Momentan bin ich kilometerweit davon entfernt und ich stecke nach wie vor viel privates Geld rein. Boxen ist im Prinzip ein teures Hobby für mich.

Steven: Wen trainierst Du noch außer Nicole?

Steven Küchler: Ich bin ziemlich international aufgestellt. Zu meinem festen Stamm zählen neben Nicole noch: Roamer Alexis Angulo (Kolumbien) den ich seit einigen Jahren betreue und der es ohne Promoter auf Rang 29 bei Boxrec im Supermittelgewicht geschafft hat. Schwergewichtler Burak Shahin trainiert bei mir, welcher in der Nach-Klitschko Ära eine Rolle spielen wird, da er ja noch jung ist ebenso wie Sportler Yunus Özcan (Supermittel), welcher ein fast komplettes Eigengewächs ist. Die Brüder Öner aus der Türkei werden noch von mir betreut, sowie einige andere internationale Talente für die Zukunft.

Wie würdet Ihr Eure Zusammenarbeit beschreiben? Nicole, beschreibe mal bitte Steven als Trainer und Steven beschreibe doch bitte mal Nicole als Sportlerin.

Nicole Wesner: Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit. Ich habe großes Vertrauen in Steven. Wenn er sagt, die Gegnerin besiege ich, dann weiß ich, dass ich gewinnen werde. So kam es auch, dass Gina meine Gegnerin wurde, obwohl ich anfangs nicht sicher war. Auch im Kampf habe ich großes Vertrauen zu ihm. Wenn er mir etwas in der Ecke sagt, dann versuche ich es so gut wie möglich umzusetzen, weil ich weiß, dass es zum Erfolg führt.
Steven versucht nicht jedem seiner Boxer das gleiche Konzept aufzudrücken. Er schaut, was sind die natürliche Reaktionen und Handlungen des Boxers, was sind seine Stärken und Schwächen und darauf wird das Training und Kampfkonzept aufgebaut. Wir sind aber auch beide der Meinung, dass man nicht nur mit einem einzigen Konzept erfolgreich sein kann und dass man aus der Werkzeugbox der boxerischen Mittel mehrere Dinge verwenden können muss. So wie ich z.B. gegen Gina geboxt habe, so würde ich bei den meisten meiner Gegnerinnen nicht boxen.
Steven ist sehr engagiert als Trainer. Man kann sich so jemand als Trainer nur wünschen. Er ist genauso boxverrückt wie ich und wir haben beide die gleichen Visionen.

Steven Küchler: Nicole ist mindestens so bekloppt wie ich aber eben auch sehr willensstark und ich muss Sie manchmal bremsen. Sie kann ihr Leistungsvermögen zwar ganz gut einschätzen aber Sie weiß nicht wirklich, wie gut sie ist. Die Arbeit ist nicht immer einfach mit Ihr, weil Sie sich manchmal einfach sehr viel auflastet, aber ich denke im Großen und Ganzen passt es sehr gut. Als Trainer wünscht man sich schon solche Sportler, die sich derart mit allem befassen, was im Sport wichtig ist: Ernährung, Regeneration, Belastung und vieles mehr.
Meine Aufgabe ist ja auch die, darauf zu achten das Sie einfach mal abschaltet und sich nicht alles um Boxen dreht. Dann trinken wir auch mal ein Glas Wein zusammen.

Nicole, könntest Du Dir vorstellen, Deine Profi-Laufbahn zu unterbrechen und zum Amateurstatus zurückzukehren, um an den olympischen Spielen teilzunehmen?

Nicole Wesner: Ja.

Wie war Deine Amateurzeit, Nicole?

Nicole Wesner: Meine Amateurzeit war sehr kurz. Wenn man mit 32 mit dem Leistungssport anfängt und zudem als Deutsche in Österreich Ausländerin ist, dann ist es nicht einfach an Kämpfe zu kommen. Mit Ach und Krach habe ich 12 Kämpfe zusammengebracht in 3 Jahren Amateurzeit und nur weil ich Turniere geboxt habe und bereit war, in 60, 64 und 69 kg zu boxen. Das höchste, was ich als Ausländerin erreichen konnte, war die nationalen Meisterschaften zu gewinnen (EM und WM ist ja nicht möglich). Die hatte ich gewonnen. Für mich war der Weg ins Profi-Boxen daher das Beste, was ich in meiner Situation machen konnte.

Was würdest Du anderen Boxern raten, die in Erwägung ziehen ins Profi-Boxen zu wechseln?

Nicole Wesner: Das erste, was man sich fragen sollte ist: warum? Was sind die Beweggründe des Wechsels? Immer wieder stelle ich nämlich fest, dass die Beweggründe meistens nicht die Richtigen sind und teilweise auch falsche Vorstellungen vorhanden sind. Aus sportlicher Sicht müsste jemand auf die Frage nach dem „Warum“ eigentlich antworten „weil es einfach toller ist 12 statt 3 Runden zu boxen“, denn das ist der größte Unterschied. Aus der Rundenanzahl ergibt sich dann die Strategie und Taktik sowie Art des Boxens, insbesondere seid die Amateure ihr Punktesystem nun auch auf das 10-Point Must-System geändert haben. Ich habe aber noch nie diese Antwort gehört. Der Hauptgrund für die meisten ist, dass sie denken, man verdient einen Haufen Kohle oder aus Gründen der Anerkennung.

Vor dieser Entscheidung sollte sich der Sportler mit vielen Boxern unterhalten und möglichst viele Informationen einholen: Wie hoch sind die Ausgaben, was sind mögliche Einnahmequellen. Wer sind die Promoter, wie agieren die Promoter (einfach mal ihre Veranstaltungen und Sportler verfolgen: Wie sind die Match-Makings, wie hoch sind die Einnahmen der Sportler usw. Alle, die aus dem Amateurboxen kommen, werden dann sehr schnell feststellen, dass sie nun vor ganz neuen Kostenblöcken stehen, die als Amateur der Verband gezahlt hatte. Es sei denn, sie haben einen Vertrag bei einem großen Promoter, das ist natürlich etwas anderes. Man sollte sich den Wechsel ins Profi-Lager sehr gut überlegen, denn das Amateurboxen hat viele Vorteile. Man hat nicht so viel Arbeit, weniger finanzielle Sorgen und man kann sich besser auf den Sport konzentrieren. Auch vom sportlichen Aspekt gibt es viele Argumente. Interessant ist der Wechsel ins Profi-Lager hauptsächlich, wenn Du einen lukrativen Promoter-Vertrag hast oder als Ausländer in deinem Land sportpolitisch limitiert bist. Oder du siehst das Profi-Boxen als reine Erwerbstätigkeit ohne Anspruch auf eine große Karriere und bist bereit, oft im Ausland zu boxen, so dass Du zwar eine Kampfbörse bekommst, aber wahrscheinlich beim Urteil veräppelt wirst. Das, was die meisten kennen, wie z.B. die bekannten TV-Boxer, die den sportlichen Erfolg haben z.B. Weltmeister eines anerkannten Verbandes sind und viel Geld verdienen. Das sind Szenarien, die alleine, also ohne großen Promoter, sehr schwierig umzusetzen sind. Im Frauenbereich ist es noch halbwegs realisierbar, im Männer-Bereich kommt ja noch das wichtige Thema Verbandspolitik hinzu. Das ist aufgrund der hohen Anzahl der Konkurrenz und großen Promoter im Männer-Bereich einfach mal schwierig.

Hast Du Dich je schon mal gefragt, wie Dein Leben ausgesehen hätte, wenn Du mit dem Boxen 10 Jahre früher angefangen hättest?

Nicole Wesner: Kaum. Kurze Gedankenspiele, aber ich bin nicht traurig, ich kann es ja eh nicht ändern. Wenn ich vor zehn Jahren mit dem Boxen angefangen hätte, wäre ich vielleicht nicht nach Wien gezogen. Dann hätte ich als Deutsche in Deutschland lebend auch die Möglichkeit einer EM oder WM-Teilnahme gehabt. Wahrscheinlich wäre ich dann kein Profi geworden.

Warum wohnst Du eigentlich in Wien?

Nicole Wesner: Ich bin 2006 von meinem damaligen Arbeitgeber nach Wien versetzt worden und bin quasi „picken geblieben“ wie man in Österreich sagt. Daher habe ich das Boxen auch in Wien begonnen und meine Amateurzeit in Österreich verbracht.

Wie kann man sich dein Leben vor dem Boxen vorstellen? Beschreib doch mal in wenigen Worten dein bisheriges Leben.

Nicole Wesner: Ich bin in Köln geboren und mit knapp 7 Jahren nach Mannheim gezogen, wo ich 22 Jahre meines Lebens verbracht habe. Ich habe International Business in Mannheim und Lyon studiert und anschließend in einem internationalem Unternehmen im Marketing gearbeitet. Fremde Länder und Sprachen haben mich schon immer interessiert, daher spreche ich auch so viele Sprachen und habe auch kurz in Italien und Belgien gewohnt. Eigentlich war es mein Plan, dass ich nach Südamerika auswandere, bis ich mich in Wien verliebt habe. Habe auch schon ab und zu überlegt nun mit der Boxerei nach Südamerika zu gehen. In Mexiko und Argentinien wird das Frauenboxen viel höher angesehen. Die Frauen dort sind oft der Hauptkampf, es gibt sehr viel Frauenboxen im Fernsehen und die Frauen verdienen dort auch gutes Geld.

Was denkst Du, was das Frauenboxen bei den Profis nach vorne bringen würde?

Nicole Wesner: Qualität. Wir müssen uns in die Zuschauer hineinversetzen: Sport ist Entertainment und die Zuschauer wollen unterhalten werden. Für den Boxsport bedeutet dies, es gibt die einen Zuschauer, die technisch gute Kämpfe sehen wollen. Es gibt die anderen Zuschauer, die Schlachten im Ring und Knock-outs sehen wollen. Letzteres wollen quantitativ wahrscheinlich mehr.
Wir müssen das bieten, was die Zuschauer sehen wollen. Gute Kämpfe mit einem guten Matchmaking. Das gilt für den Männer-Bereich natürlich genauso. Aber wir Frauen müssen da wohl etwas mehr machen. Leider denken immer noch viele, dass Frauen nicht boxen können. Viele haben nicht die Größe anzuerkennen, dass sich das Frauenboxen massiv geändert hat. Aber wir müssen weiter dran arbeiten das Image des Frauenboxens zu verbessern.
Ich denke übrigens auch, dass die Minutenanzahl der Runden wie bei den Männern 3 Minuten sein sollen. Die Zuschauer wollen KOs sehen und in 3 Minuten ist ein KO einfacher als in 2 Minuten. Ich hatte schon ein paar Kämpfe, wo die Gegnerin kurz vor dem KO stand und dann hat sie der Gong gerettet.

Was glaubt Ihr, wo wird das Frauenboxen in 10 Jahren stehen?

Nicole Wesner: Ich denke und hoffe, dass sich vieles bis dahin geändert hat. Die Frage, ob Frauen boxen sollen oder nicht (ja, diese Diskussionen muss ich immer wieder mal führen), sollte es hoffentlich nicht mehr geben. Ich bin ein Optimist, auch in dieser Frage. Ich denke, dass Frauenboxen seine Fans haben wird und nicht mehr wegzudenken sein wird.

Steven Küchler: Es ist immer schwierig, solche Prognosen abzugeben. Ich denke aber, jetzt wo auch Frauenboxen olympisch ist, wird sich das Boxen bei den Frauen weiter entwickeln. Ich sehe es auch so, dass sich das Boxen der Frauen dem der Männer annähern wird. Ich hoffe und denke auch das Frauen irgendwann 3 min Runden boxen werden. Die boxerische Klasse wird sich weiter verbessern und wir werden in den nächsten Jahren sicher gute Frauenkämpfe zu sehen bekommen.

Wie geht es bei Dir weiter? Willst Du auch in anderen Gewichtsklassen angreifen oder auch Weltmeister in weiteren Verbänden sein?

Nicole Wesner: Ich möchte in meiner Gewichtsklasse, dem Leichtgewicht bleiben, aber für große Kämpfe würde ich auch mal ins Superfeder oder Halbwelter gehen. Bei meiner Größe könnte ich sogar im Welter boxen.
Mein primäres Ziel ist jetzt nicht unbedingt auf Gürtel-Jagd zu gehen. Ich denke für die breite Masse sind WIBF, immerhin der Verband von Regina Halmich und Leila Ali, und die WBF gut vermarktbar. In der Boxszene hingegen verschafft man sich die Anerkennung durch die Matches.
Wenn ich die Gelegenheit habe, um einen Titel von einem weiteren Verband zu boxen, dann freue ich mich natürlich. Aber momentan ist es mein Ziel, das wenige Geld, dass mir momentan zur Verfügung steht, darauf zu verwenden, dass ich die Gegner boxen kann, die ich will. Wenn ich das erreicht habe, dann bin ich schon sehr happy, denn das wird schon schwierig genug. Mein Ziel ist es daher, dass ich 2015 einen großen Sponsor finde, damit ich Geld habe, das ich wieder in den Sport stecken kann.

Was ist deine Visionen?

Nicole Wesner: Visionen sind im Gegensatz zu Zielen ja immer etwas verrückt, dürfen gerne auch Luftschlösser sein. Wenn ich also ein bisschen verrückt herumspinne, dann schaut es so aus: Ich werde weiter hart trainieren und immer besser werden. Ich werde eine Knock-outerin wie Mathis. Steven sagt immer, ich habe enorme Schlagkraft, aber ich kann es noch nicht immer so umsetzen im Kampf. Meine Vision wäre, das mir dies gelingt. Ein Knock-out begeistert die Zuschauer immer. Ich meiner Vision spielt Geld keine Rolle mehr. Wir können uns die optimalen Trainingsbedingungen schaffen und das Beste rausholen. Ich bin eines Tages so gut, dass ich die Beste in meiner Gewichtsklasse bin und auch die Besten eine Gewichtsklasse darunter und darüber boxe. Ich verdiene durch das Boxen soviel Geld, dass ich mir keine Gedanken machen muss, was ich nach meiner Karriere als aktive Boxerin mache und engagiere im Bereich Boxen mit Themen, die mir am Herzen liegen und Spaß machen.

Steven, wie siehst Du die Zukunft von Nicole?

Steven Küchler: Ich habe keine Glaskugel, aber ich würde sagen, dass Nicole etwas Großartiges schaffen kann. Wir haben die gleiche Vision nämlich die beste Boxerin Pound for Pound zu werden und ich bin mir ziemlich sicher, das Nicole mal später in den Büchern stehen wird als eine Frau, die das Frauenboxen maßgeblich geprägt hat. Sie will die Besten Boxen und das werden wir auch tun. Natürlich gibt es noch viel Arbeit aber wir wollen Beide das Gleiche!

Wir bedanken uns bei Nicole Wesner und Steven Küchler für dieses Interview und wünschen diesem Duo auch weiterhin viel Erfolg bei großen Fights!

Hier noch einige „Hardfacts“:

Nicole Wesner
Zusammenfassung: Wurde bekannt durch ihren verrückten Quereinstieg „von der Managerin zur Profi-Boxerin“

Nationalität: Deutsch (geb. in Köln, 22 Jahre in Mannheim gewohnt)

Wohnort: Wien

Boxstall: Managed sich selbst

Stationen ihrer Box-Karriere: 2009 Beginn mit dem Boxen; 2011 Österreichische Staatsmeisterin (AIBA); Dez. 2012: Profi-Debüt auf der Dessauer Boxnacht; Sept. 2014: WIBF Interkontinental-Meisterin Leichtgewicht; Dez. 2014: WIBF & WBF Weltmeisterin Leichtgewicht

Ihr Motto: „Wenn Du etwas tust, dann tue es mit Deinem ganzem Herzen.“

Mehr Informationen: www.nicolewesner.com

Steven Küchler

Zusammenfassung: war sein sehr bekannter Amateurboxer mit 261 Amateurkämpfen und großen internationalen Erfolgen unter Trainer Hans-Jürgen Witte. Nach seiner Amateurlaufbahn begann er als Profi-Boxer bei Universum Box-Promotion unter Fritz Sdunek, musste seine Profi-Laufbahn nach seinem 7. Profi-Kampf aus gesundheitlichen Gründen beenden.

Wohnort: Berlin

Boxstall: arbeitet mit Sportlern aus unterschiedlichen Boxställen / Managern zusammen

Stationen seiner Laufbahn: 1992: Junioren-Europameister und Auszeichnung als bester Boxer; 1992: Bronze Junioren-WM; 1996 bis 2001: Turniersieg beim Chemie-Pokal, 7 mal in Folge, dieser Rekord wurde von niemandem überboten; 1995 und 1998: Militär-Weltmeister; 2000: Olympische Spiele in Sydney 5. Platz; 2002: Vertragsunterzeichnung bei „Universum“; 2004: Ende der Profi-Karriere aus gesundheitlichen Gründen und Start der Trainer-Laufbahn.

Sein Motto: „Geht nicht – gibt’s nicht!“

Mehr Informationen: www.stevenkuechler.com

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