Blick hinter den Kampfrekord (5): Der boxende Gladiator von Auschwitz

Auf den ersten Blick wirkt der Kampfrekord von Harry Haft, 13(8)-8(5)-0 eher mäßig. Das war in seiner Ära keine Schande, trat er doch u.a. gegen den legendären Rocky Marciano an. Und doch wird manch Boxfan, der den Kampfrekord überfliegt, nichts besonderes in dem gebürtigen Polen sehen. Doch wie so oft steckt hinter dem Kampfrekord eine Geschichte, welche uns einen Boxer zunehmend als besonderen Menschen sehen lässt.

Am 28. Juli 1925 wurde Haft, damals noch unter dem Namen Hertzko, in Polen geboren. Seine Kindheit verlief relativ normal, bis 1939 die Wehrmacht einmarschierte. Als Jude hatte Hertzko Haft einen schweren Stand und landete 1941 in Auschwitz. Der 16 Jährige weckte aufgrund seines kräftigen Körperbaus die Aufmerksamkeit der KZ-Aufseher, die ihm schließlich das Boxen lehrten. Die Nazis hatten nämlich ein makaberes Hobby: Sie inszenierten Boxkämpfe zwischen den Häftlingen. Wer siegte, durfte erneut antreten. Wer verlor, wurde auf der Stelle ermordet. Womit wir aus der Perspektive des Jahres 2015 erkennen müssen, dass Geschichten wie „Todesmarsch“ oder „Die Tribute von Panem“ keine Utopie, sondern bereits unsere Vergangenheit sind. Was heutzutage Unterhaltungsliteratur ist, war damals brutale Wirklichkeit. Es waren grausame Zeiten, in denen Hertzko Haft um sein Leben kämpfen musste, sich mit der Zeit aber immer mehr mit dem Tod anderer Unschuldiger belastete. Ein moderner Gladiator, der nie wusste, ob er den Tag überlebt.

Nach 76 harten Kämpfen, in denen er mit starken Gegnern und seinen körperlichen Grenzen zu ringen hatte, endete der Krieg. Haft wurde von der roten Armee befreit und beschloss, in die USA zu reisen. Da er sonst keine Arbeit fand, nahm er irgendwann das Angebot eines Boxpromoters an und fuhr damit fort, in den Ring zu steigen. Gegen die Weltklasse der Profis hatte er allerdings wenig Chancen. Nicht nur wegen der fehlenden Technik, sondern auch, weil er in Auschwitz eine Menge Substanz gelassen hatte. Zudem war die Mafia damals noch sehr ins Boxen involviert und manipulierte so manches Gefecht.

Hafts Profikarriere dauerte nur 21 Kämpfe an, welche sich über zwei Jahre erstreckten. 1948 gab er sein Debüt, ehe er die Handschuhe 1949 an den Nagel hing. Sein letzter Kampf fand gegen ein aufstrebendes Talent namens Rocky Marciano statt. Dieser war in 17 Kämpfen unbesiegt und konnte gegen Haft einen weiteren vorzeitigen Erfolg feiern. Schon damals sah es so aus, als habe er lediglich einen durchschnittlichen Gatekeeper vermöbelt. Doch der Blick hinter den Kampfrekord zeigt, dass er einen echten Lebenskünstler bezwungen hatte, dessen Wille für Zehn ausreichen würde.

Im Jahr 2007 starb Harry Hertzko/Haft in den USA. Seine Geschichte nahm er allerdings nicht mit ins Grab. Kurz vor seinem Tod eröffnete er seinem Sohn Scott, was er einst durchgestanden hatte. Dieser machte die Geschichte öffentlich, sodass Haft postum noch Ruhm erlangte. Ob ihm dieser etwas bedeutet hätte, steht auf einem anderen Blatt.

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